Ein Fachtag, der nicht nur dem Fachpublikum aus Betreuung und der Pflege gerecht wird, sondern auch Betroffene und deren Angehörige mit einschließt - das war unser Wunsch für den diesjährigen Fachtag, der unter dem Motto "Lebensmut trotz(t) Demenz" auf vielfältige Lebensbereiche einging, die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen betreffen.
Wie gehen wir mit der Erkrankung um und was ist hilfreich, um den Alltag gut zu überstehen? Was verhindert soziale Isolation, Überforderung und Depression? Wie können wir gut mit einer Demenz leben?
Mit Dr. Sarah Straub und Prof. Dr. Andreas Fellgiebel hatten wir zwei Referent*innen eingeladen, die sich auf unterschiedliche Art mit dem Thema beschäftigen. Die Psychologin Dr. Sarah Straub ist nicht nur Demenz-Expertin an der Uni-Klinik Ulm, sondern nähert sich zugleich auch als Sängerin dem schwierigen Thema an. Prof. Dr. Andreas Fellgiebe ist Leiter der Psychiatrie und der Gedächtnisambulanz am Krankenhaus Elisabethen-Stift in Darmstadt und befasst sich seit in verschiedenen Studien mit den Auswirkungen von Stress auf Demenz und wie man ihn vermeiden kann.
Die insgesamt acht Workshopthemen schlossen sich nach der Mittagspause an und befassten sich mit Bewegung, Essen und Genuss, Humor, Gesundheitsförderung für pflegende Angehörige und Bewältigungstrategien in der Pflege, sowohl für Fachkräfte als auch für pflegende Angehörige.
Die Veranstaltung war mit rund 150 Teilnehmer*innen gut besucht. Wir danken ganz herzlich allen Mitwirkenden, die zur Planung, Realisierung und tatkräftigen Unterstützung am Fachtag selbst beigetragen haben. Nicht zuletzt ohne unser Netzwerk an tollen Referent*innen und Ehrenamtlichen konnte dieser Fachtag zu einem gelungenen fachlichen und persönlichem Austausch beitragen.
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Die Idee eines Fachtags war vom DemenzForum entwickelt worden. Die Vorsitzende des DemenzForums sagte in ihrer Einführung: „Es gibt viele Schulungen im Bereich Demenz über den praktischen Umgang mit der Erkrankung: Schulungen zur Kommunikation, zum Umgang mit herausforderndem Verhalten, Validation, Beschäftigung mit Männern usw. Es gibt nur wenig gemeinsames Nachdenken über Perspektiven. Dem wollen wir hier Rechnung tragen.“ Die Ausgangssituation für Familien mit Demenz, so beschreibt es das Demenzforum aus eigenen Erfahrungen, wird schwieriger. In den aktuellen Zeiten des Fachkräftemangels fehlt Personal nicht nur in der stationären Altenpflege, auch die ambulante Infrastruktur bricht in der Versorgung von Familien mit Demenz ein. Pflegeverträge werden gekündigt, Familien mit Demenz mit sog. „schwierigen“ Menschen mit Demenz finden oft keine professionelle Unterstützung mehr. Wer mutet seinen Arbeitskräften den anstrengenden Umgang mit Menschen mit Demenz zu, wenn die Auftragsbücher voll sind?
Der 70jährige Hauptreferent Erich Schützendorf stellte sich in seinem Vortrag zunächst vor, wie es sein könnte, „die Seiten zu wechseln“ und woran ihm dann besonders liegen würde. Was also braucht der Einzelne zur Wahrung seiner Würde? Schützendorf provozierte die Pflegeprofis, als er für sich feststellte, dass er auf keinen Fall aktiviert werden wolle. Es sei ihm zwar klar, dass die Wissenschaft für ein gesundes Altern viel Bewegung und viele Aktivitäten vorsehe, er könne sich aber für sich selbst gut vorstellen, dass er lieber aus dem Fenster schauen würde als bei Märchen-Gruppen oder beim Sitz-Tanz mitzumachen. Deutlich wurde dabei aber auch, dass es bei der Wahrung der Würde immer auch darum geht, Zeit und Raum für Individualität zu haben.
Unterbrochen wurde der Schützendorf-Vortrag durch Gesangseinlagen der 5köpfigen A-Cappella-Gruppe „Die Praktikanten“. Die fünf Herren setzten mit „Drunten im Tale“ oder „Ein Freund, ein guter Freund“ echte Glanzpunkte und sorgten dafür, dass für die Zuhörer an diesem Vormittag nicht nur der Kopf gefordert war, sondern auch das Gefühl – passend zum Thema Demenz. Denn auch wenn die kognitiven Leistungen in der Demenz allmählich zurückgehen – das Gefühl und die musikalischen Fähigkeiten bleiben lange erhalten.
Nach dem Mittagsimbiss verteilten sich die 150 Teilnehmenden auf insgesamt 5 Fachforen, in denen nach einem kurzen Input der Austausch miteinander im Vordergrund stand:
Die Eindrücke aus den Fachforen machten klar, dass es im täglichen Umgang mit Menschen mit Demenz oft um Grenzsituationen geht, die konkret verhandelt werden müssen: Wann beschließt man z. B., einen Menschen mit Demenz auch gegen seinen Willen zu waschen? Darf man mit „List und Tücke“ arbeiten, wenn jemand seine Tabletten nicht nehmen will (Schützendorf fand: Ja!)? Wie lange lässt man jemanden im Flur am Handlauf allein auf und ab gehen, wann greift man ein?
Als eine Lösung war eine Ethik-Kommission ins Gespräch gebracht worden, in der regelmäßig solche Grenzsituationen mit professionell Pflegenden, aber auch mit Angehörigen besprochen werden. Das Problem: Allgemeingültige Lösungen könne es in solchen Fällen praktisch nicht geben; jeder Einzelfall sei anders.
Menschen mit Demenz brauchen Zeit, Geduld, direkte Kontakte und möglichst wenig Druck. Sie stehen mit diesen Bedürfnissen deutlich im Widerspruch zu unserer auf Effektivität, Tempo und Leistung gedrillten Gesellschaft. Aber sie legen damit auch den Finger in eine Wunde unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Klar wurde am Schluss des Fachtags, welch hohen Handlungs- und Gesprächsbedarf es in Sachen Demenz weiterhin gibt. Moderatorin Gabriele Kleiner stellte denn auch einen nächsten Fachtag in zwei Jahren in Aussicht. BH